SOFT EDGE
Vom Rand aus betrachtet sind die Werke Elisa Albertis in sich geschlossene Systeme, die in keine Konkurrenz zum Umraum treten. Konsequent gibt Elisa Alberti (*1992, Kiel) den großen Leinwänden Rahmen aus Holz und zieht die Malerei der kleineren Arbeiten bis über den dicken Keilrahmen. Genau an dieser Stelle geschieht es, dass aus einem Bild ein dreidimensionales Objekt wird. Dass aus komponierten Flächen ein Ganzes entsteht und die Malerei einen Körper bekommt. Körper, Figuren, Gegenstände, Pflanzen – diese Eindrücke des Alltags sind eine Basis für die grafische Auseinandersetzung der Absolventin der Akademie der bildenden Künste in Wien. Es ist technisch, aber auch inhaltlich augenscheinlich, dass die in Südtirol aufgewachsene und in Wien lebende Künstlerin vom akademischen Kunstdiskurs nicht unberührt arbeitet, doch hat sich Alberti von der Kunstgeschichte emanzipiert. In den 1960er Jahren kam der Begriff „Hard-edge painting“ auf. Farbflächen mit scharfen, harten Kanten charakterisierten diese Subtendenz der abstrakten Malerei. Albertis Werk mag weit entfernte Verwandtschaft mit dieser kunsthistorischen Episode pflegen, doch auch wenn Alberti scharfe Kanten kennt und dann und wann gezielt einsetzt, hat ihre Farbflächenmalerei wenig mit Härte zu tun. Gegenteilig versteht sie es fragile Empfindlichkeit in klare Form zu fassen. Formen allerdings, die durch ihre wechselhafte Gestalt nie nüchtern abgegrenzt werden, sondern – man betrachte etwa die Oberflächen die mal glatt glänzend und dann wieder tief und matt erscheinen – stets lebhaft bleiben. Im Organischen liegt ihre Qualität begründet. Das Schlagwort ist, die Künstlerin nennt es selbst: Gleichgewicht.
„Ein Element plus ein Element müssen außer ihrer Summe mindestens eine interessante Beziehung ergeben“(1), konstatierte Josef Albers. Alberti übersetzt das Geflecht von Beziehungen und Bezügen ins 21. Jahrhundert. Das gelingt ihr, indem sie ganzheitlich verschränkt agiert. Malerei löst sich im Gegenstand auf und vice versa, Flächen handeln gleichberechtigt zwischen Vorder- und Hintergrund, die Distanz, aber auch die Nähe und die Farbe sind Komplizinnen der Balance. Intuition bestimmt nicht nur die Form, sondern auch die unbunte Farbwelt in der Elisa Alberti das Spektrum zwischen Hauttönen, Himmelsfarben und der starken Dominanz von Schwarz und Weiß durchdekliniert. Die Figuration ist nur noch ein Versatzstück und die Elemente verselbstständigen sich zunehmend im wachsenden Formenkatalog, der sich stetig aus sich selbst heraus weiterentwickelt. Konstruktion und Dekonstruktion spielen wesentlich mit. In den jüngsten Arbeiten kommt eine Variante der Sgraffito Technik zum Einsatz. Mit zarten und doch sehr bestimmt und kraftvoll gesetzten Hieben kratzt sie eine oberflächliche Farbschicht vom Bildträger, um Linien freizulegen. Rissige Konturen, die zum einen weich und zerbrechlich wirken und andererseits klare Grenzen zwischen den Bildflächen markieren. Soft edges, weiche Kanten, die in ihrer Strichführung auch eine Reminiszenz an die farblosen Bleistiftskizzen sind, die jeder Serie Elisa Albertis zugrunde liegen.
Paula Watzl, November 2021
(1) Dirk Rustemeyer, Ordnungen des Wirklichen: Weisen des Unterscheidens in Philosophie, Künsten und Wissenschaften, Verlag Herder GmbH, 2018, S. 64.