BLURRED BORDERS

Soli Kiani

16. Juni - 1. August 2022



Jene von Plinius (1.Jhdt.) ist eine gerne zitierte kunsthistorische Anekdote: Im Wettstreit mit Parrhasius malte Zeuxis Trauben, die so natürlich und köstlich aussahen, dass Vögel herbeigeflogen sein sollen, um an den gemalten Früchten zu picken. Parrhasius aber konterte seinem Herausforderer mit einem verhängten Gemälde. Als Zeuxis den Vorhangstoff vom Bild wegschieben und dahinter blicken wollte, scheiterte er jedoch genauso wie erst die Vögel an der täuschend echt gemalten Leinwand. Da war kein Verhang, sondern nur gezielt gesetzte Farbe.

Aus Stoff ist auch diese Ausstellung gemacht. Soli Kiani ist radikal der Gegenwart verpflichtet und doch darf die Kunstgeschichte beliehen werden – denn die Künstlerin selbst spricht von dieser Ausstellung als eine, die die alten Debatten der Kunstgattungen ins Zentrum rückt. Parallel zu ihrer künstlerischen Intervention mit politischen Arbeiten im Hotel Blaue Gans und im Anschluss an ihre vielbeachtete Schau im Bank Austria Kunstforum in Wien bringt BLURRED BORDERS in der Galerie Sophia Vonier die formellen Aspekte im vielfältigen Werk Soli Kianis ins Zentrum. Im Dreischritt von Fotografie, Malerei und Objekt werden die unscharfen Grenzen zwischen den Techniken ertastet und der Vergleich als unbedeutend demaskiert. Vielmehr ergänzen Kianis Entwürfe einander, egal welche Technik im Mittelpunkt steht. Verschwommen und wage, ein Tanz an der Grenze – alles ist in Bewegung. Wie der Stoff, den Soli Kiani durch das Foto zieht und in Wachskreide festhält. Der Bildträger wird durch seine äußere Form – die Tiefe, die die Malerei an ihren Rändern bekommt, wo sich dicke Leisten aus der Wand erheben – wiederrum zum Objekt, während das Objekt die zeichnerische Geste aufnimmt. Die Objekte bezeichnet Kiani auch als „plastische Malerei“, ist es doch Leinenstoff, der das Grundmaterial bildet und nun in Wechselbeziehung zum Beton tritt. Der Rhythmus bleibt schwarz, weiß und grau. Das Tuch, der Stoff, der durch die Bildflächen schwebt, muss auch als kulturelles Zitat gelesen werden. Kiani hat den Tschador hinter sich gelassen, doch das soziale Gewicht der unfreiwilligen Verhüllung überdauert, egal wie aufgelöst und leicht sich der weiße Seidenstoff über die Fotografien zieht, der Verweis wiegt schwer. Der Kulturgeschichte- und gegenwart stellt Soli Kiani die Kunstgeschichte und -gegenwart als Komplizinnen zur Seite. Ein Schlagwort der Ausstellung ist der ‚Piktorialismus‘. Über Dekaden musste die Fotografie um ihren Stellenwert innerhalb der Kunst kämpfen und sich gegenüber der Malerei im Ansehen geschlagen geben. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts erklärten es sich Fotografen unter dem Schirm des Piktorialismus jedoch zum Ziel zu beweisen, dass die Fotografie Kunstwürdig ist, dabei entdeckten sie etwa das Spiel mit Schärfe und Unschärfe und suchten Wege über das fotografische Bild Emotionen anzustiften. Lange auf die Abbildefunktion und -technik reduziert, spielt Kiani gerade mit diesem falschen Vorurteil gegenüber der Fotografie und inszeniert bewusst ein Zwiegespräch von Original und Abbild. Malerei, die die Fotografie imitiert und Fotografie, die die Malerei herausfordert. Selbst an der Grenze stehend – Soli Kiani wurde 1981 in Shiraz (Iran) geboren, lebt jedoch seit 2000 in Österreich, wo sie ab 2007 bei Christian Ludwig Attersee studierte – weiß Kiani um die generellen Unschärfen aller Gegebenheiten. Vielleicht fasst die Fotografin Ruth Bernhard (1905-2006) das Potenzial der verschwommenen Grenzen, der „Blurred Borders“, wie diese Ausstellung betitelt ist, am besten zusammen: „Wenn man nicht bereit ist, mehr zu sehen als sichtbar ist, wird man nichts sehen.“     

                                                                     

Paula Watzl, Mai 2022