24. Februar - 24. März 2023
Die markanten herzförmigen Blätter der Monstera Pflanze ranken sich entlang einer Hauswand. Wo sich die Wurzeln der Pflanze befinden, ist nicht auszumachen. Es scheint, als würde sich die Pflanze ins Unendliche ausbreiten, die Architektur und Umgebung einnehmen, ja übernehmen wollen. Auf transparentem Stoff gedruckt, leitet die Fotografie wie eine Art Fenster oder Öffnung in eine anders geordnete Daseinsform. An weiterer Stelle im Ausstellungsraum formieren sich Monstera Blätter aus Gips in der für die Künstlerin charakteristischen Pastelltönen zu einem artifiziellen Wäldchen.
Nicht zufällig wählt Johanna Binder gerade diese Pflanze als Protagonistin ihrer Ausstellung, steht sie doch einerseits für den Inbegriff von der Vorstellung der exotischen Natur, und andererseits für die Vereinnahmung und Ausschöpfung der Natur als Ware. Der Familie der Ahornstabgewächse zugehörig, gelangte die Monstera erstmals um 1900 von Mittelamerika nach Europa. Bereits im frühen 19. Jahrhundert war das Monstera Blatt ein beliebtes Tapetenmotiv im Adel, das versuchte dem Fernweh Abhilfe zu verschaffen, und fand in den 1960er Jahren als Topfpflanze im großen Stil Einzug in die Wohnzimmer.
Wie die meisten Zimmerpflanzen, steht die Monstera nicht nur für ein Stück exotisches Paradies, sondern auch für ein Stück Kolonialgeschichte. Als Neophyten werden jene Pflanzen bezeichnet, die ab dem Jahr 1492 in andere Regionen gelangten (seit der Entdeckung Amerikas kamen 13.186 Pflanzenarten bewusst oder unabsichtlich nach Europa). Einige dieser importierten Pflanzen wurden ironischerweise von Verschleppten selbst zu Invasoren, welche die Integrität von Ökosystemen gefährden und heimische Pflanzen verdrängen – in Österreich etwa sind 40 Arten dieser sogenannten invasiven Neophyten bekannt.
Mit der Ausstellung Neophysis knüpft Johanna Binder an ein Thema an, das sie schon seit längerem künstlerisch beschäftigt: der Aneignung von Natur. Ihre Installationen, textilen Arbeiten und Fotografien setzen sich mit der Geschichte der Botanik und dem kolonialen Erbe auseinander, das sich oft in harmlosen Gesten und Alltagsgegenständen, wie etwa Zimmerpflanzen, versteckt. Die Künstlerin fragt nach vorherrschenden hegemonialen Strukturen und untersucht Natur als kulturelles Konstrukt.
Das Spannungsverhältnis zwischen Artifiziellem und Organischen tritt auch in Johanna Binders textilen Arbeiten aus bemaltem Satin-Stoff zum Vorschein.
Die mit Nadel und Faden eingenähten Strukturen beziehen sich auf die sogenannten Stomata, die für die Photosynthese notwendig sind. Durch diese Spaltöffnungen wird Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre aufgenommen und Wasser und Sauerstoff abgegeben. Die Glashauben verleihen dem Arrangement einen botanischen Laborcharakter und verweisen auf transportable Gewächshäuser, deren Erfindung es den Europäern erst ermöglichte, Pflanzen aus den Tropen und Subtropen im großen Stil zu importieren (bereits 1825 baute der Schotte Alan Maconochie das erste Gewächshaus. Bekannt als „Erfinder des Gewächshauses“ wurde aber der englische Arzt Nathaniel Bagshaw Ward, der 1830 das erste transportable Gewächshaus entwickelte).
Johanna Binder verwandelt den Ausstellungsraum in ein Stück artifizielle Natur. Sie wirft damit die Frage auf, inwieweit Natur noch natürlich ist und zeigt auf, wie unser koloniales Erbe in dieser verankert ist. Die Natur wird dabei auf spielerische Art und Weise zu einer überspitzen Darstellung ihrer selbst und zur Projektionsfläche menschlicher Ausbeutung und Aneignung. Dabei stellt die Künstlerin anhand ihrer Beschäftigung mit Neophyten einen Paradigmenwechsel in den Raum, in dem sich Machtverhältnisse (zumindest in der Natur) neu ordnen können.
Sophie Haslinger, 2023